Navi Web 2014 oben  Rede zur Vernissage der Ausstellung Valentin Georgiev, 1.3.03,
Galerie Andalusien Art, Worpswede

Meine Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,

vor einer Ausstellung über den phantastischen oder magischen Realismus, ist man als Galerist erst einmal dem Realismus, d.h. der Realität ausgesetzt – und zwar recht schnöde und brutal. Kaum eine Ausstellung hat mich mehr Nerven gekostet. Der Künstler ist Bulgare, was für ein Pech – denn Bulgarien gehört noch nicht zur EU. Kaum jemand von uns weiß noch, wie das ist, wenn es Grenzen gibt, vor allem bürokratische Außengrenzen.
Ich wartete auf das erste Paket mit Bildern meines Künstlers, aber stattdessen erhielt ich nur eine Benachrichtigung vom Zollamt.

 „Da ist ein Paket für Sie. Das können wir ohne Rechnung – und zwar in dreifacher Ausfertigung - nicht herausgeben. Sie müssen auf diese Rechnung erst Einfuhrzoll bezahlen und die Mehrwertsteuer.“

Ich fragte: „Auf alle Bilder? Vor einem Verkauf? Vermutlich werde ich nur drei oder vier davon verkaufen können, der Rest geht bestimmt zurück...“

„Dann muss wieder Zoll gezahlt werden“, erklärte mir der Beamte. “In Bulgarien.”

„Zweimal Zoll? Und was ist, wenn ich die Bilder als Geschenk erhalte?“

 „Das geht nur bis 10 Euro, und verkaufen dürfen sie ein Geschenk sowieso nicht, erstens tut man das nicht, und zweitens ist das dann eine Ware. Und die kostet Zoll und Mehrwertsteuer.“

Ich wandte ein: „Aber die Bilder bleiben doch nicht hier! Sie werden ausgestellt und vielleicht verkauft – das ist doch gar nicht sicher. Wieso soll ich auf alle Bilder vorher Zoll und Mehrwertsteuer bezahlen?“

„Sie können auch Dinge einführen nur zur vorübergehenden Verwendung. Das kostet dann nichts.“

„Wunderbar!“, sagte ich. „Dann mache ich das doch!“

„Da lassen sie lieber die Finger davon. Das betreffende Formular dafür umfasst 15 Seiten und ist furchtbar kompliziert. Das werden sie kaum verstehen, wenn Sie das noch nicht oft gemacht haben. - In solchem Fall rate ich immer, sich an eine Spedition zu wenden, die können das.“

„Und das wird sehr viel teurer?“ vermutete ich.

„Ich sehe, wir verstehen uns.“

So habe ich jetzt nach etlichen Besuchen beim Zollamt einen netten Zollbeamten kennengelernt. Ich kenne sein Büro – das weder ein magischer noch phantastischer Raum ist - und ich weiß seine Menschlichkeit, die sich bei älteren Herrschaften kurz vor der Pensionierung mitunter einstellt, sehr zu schätzen. Über seinen jüngeren Kollegen, der sehr misstrauisch und voller Zweifel meine selbst entworfenen und geschriebenen Rechnungen anschaute, möchte ich hier schweigen. – Und noch eines habe ich gelernt: Nur zu Weihnachten freut man sich über möglichst viele Pakete.

Ein Paket vermisste ich hingegen sehr: Zehn Arbeiten, genauer gesagt, waren bis gestern noch auf dem Weg von Sofia nach Bremen und nicht angekommen - obwohl ich die Emaildrähte zum Glühen brachte.

Es gab in Worpswede einmal eine Ausstellung nicht gemalter Bilder. So war ich darauf vorbereitet, Ihnen heute eine Ausstellung nicht gelieferter Bilder zu präsentieren– das wäre doch etwas Neues gewesen, und vielleicht hätten wir die Kunstgeschichte um eine weitere Absurdität bereichern können.

Von all der Mühe und den Kosten ahnt ein Maler des magischen Realismus sicher nichts. Oder doch, denn es wird einen Grund geben, sich künstlerisch einer Welt jenseits der normalen Wahrnehmung zuzuwenden.

Die Magie einer Realität zu finden ist etwas anderes, als Realitäten in der Magie zu entdecken.

Realismus - Surrealismus – magischer oder phantastischer Realismus – Was ist der Unterschied?

Über den Realismus in der Malerei will ich mich nicht äußern, wir alle kennen realistische, naturgetreue Darstellungen. Ebenfalls hat jeder schon ein fotorealistisches Werk der 70er oder 8oer Jahre gesehen und vermutlich das handwerkliche Können dahinter bewundert. Zum Realismus gehört auch durchaus das Sujet, denken wir an die politisch-kritischen Bilder eines Ribera oder an die Zeichnungen von Käthe Kollwitz.

Der Surrealismus schuf Gegenwelten, zeigte Traumwelten, Traumdeutungen, Absurdes. Die Bücher des Sigmund Freud , der Beginn der Psychoanalyse, hatten eine starke Wirkung auf das kulturelle Schaffen in allen Bereichen. Bunuel drehte den Kurzfilm „Der Andalusische Hund“, Hitchcock nahm Bereiche der Psychoanalyse als Filmstoff und setzte sie filmisch um. Salvador Dalí ließ Giraffen brennen, Uhren von Ästen tropfen, um die inneren Landschaften eines Über-Ichs bildnerisch umzusetzen. Diese veränderte Welt ist jedoch in sich geschlossen und sie bedient sich oft einer realistischen, d.h. auch gegenständlichen Darstellungsweise. Die weiten leeren Räume bei Dalí sind „unnatürlich und irreal“, aber der Stein ist ein Stein, der Baum ein Baum, die Uhr eine Uhr, auch wenn sie ihre Konsistenz ändert.

Der Surrealismus und der phantastische Realismus haben dieselben Wurzeln: die Infragestellung des Sichtbaren durch Konfrontation verschiedener Realitätsebenen und Motive. Dazu gehört auch die Psyche.

Eine besonders intensive Wirkung des klassischen Surrealismus ist nach dem Zweiten Weltkrieg zu beobachten, vornehmlich in Wien, der Geburtsstadt Sigmund Freuds. Die sogenannte Wiener Schule formulierte das Ziel: Die Befreiung des Menschen von dem Zwang nach Vernunft, Moral und Alltäglichkeit.

In Zeiten des Umbruchs und der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit nehmen solche Bedürfnisse offenbar zu. Es fällt mir jedenfalls auf, dass etliche junge Künstler, die sich um eine Ausstellung bei mir bewerben, solche Neben- oder Überwelten thematisieren.

Die Geschlossenheit des Surrealen aufzubrechen versucht Valentin Georgiev.

1970 in Targoviste, Bulgarien, geboren, studierte er bildende Kunst an der Universität in Тarnovo, und bereits als Student erhielt er einen Ersten Preis für Malerei. Ich möchte hier nicht alle Ausstellungen benennen, wer will, kann die Daten dem Aushang entnehmen.

Was fällt außer einer hohen Könnerschaft bei den Bildern auf?

Nicht ein Ort, sondern mehrere, nicht eine Zeit, sondern mehrere, nicht ein Sujet oder Thema, sondern mehrere in einem Bild; Dinge, die für sich stehen oder anderes interpretieren; die freie Mischung verschiedener Zeitebenen; Assoziationen und Handfestes zugleich, auf das ein neues Stück entstehe. Dieses Stück bleibt frei und ordnet sich keinem vorgefassten Gedanken oder einer Absicht unter.

Zitat:

Was kann ich über meinen schöpferischen Prozess sagen? In meiner Seele lebt ein treuer Freund. Er sieht wie ein wertvoller Schrank aus, der unzählbare Fächer hat... Manchmal ist es so, dass ich im Vorbeigehen eines der Fächer aufmache und dort einen Eindruck vom hektischen Alltag hinlege, dabei aber ein Stückchen davon in mir behalte …

Die Zeit vergeht … Eines Tages stehe ich vor der weiβen Leinwand, und die ist mir wie eine Bühne. Ich erwarte die Schauspieler im Licht des Scheinwerfers; es tauchen allmählich Dekorationen auf und vieles andere – Rohmaterial, jedes Teil von dem eine Rolle erwartet wird. Wie ein Regisseur soll ich meine Auswahl treffen; es gibt Enttäuschte, die zurück in den Schrank müssen; es gibt solche, die spurlos verschwinden… Am Ende bleibt nur das Wesentlichste. Dies stelle ich auf die Bühne, auf das Bild...

Man hört - es gibt kein Drehbuch. Nur Aufgaben:

Zitat:

Ich bemühe mich darum, dass meine Gemälde eine plastische Sprache sprechen, in denen der Raum ein Zustand ist...

Und weiter:

Eine besondere Rolle in meinen Werken spielt die Natur,... selbst wenn sie nicht anwesend ist. Sie ist in einer räumlichen Umgebung zu spüren. Sie schwebt herum, umhüllt alles, wird ein Teil des Lebens – manchmal gespenstisch und unwahr, aber auch ganz real in ihrer psychologischen Suggestionen. Mich interessiert eigentlich nicht das Sujet, sondern das Wiedergeben von bestimmten tiefen Zuständen, die einer feinen menschlichen Natur eigen sind.

morning-klEin wichtiges Darstellungsmittel ist bei Georgiev die Überblendung, mit der auch der Film arbeitet. Man sieht die zweite Szene kommen, während die erste noch nicht verschwunden ist; man hört den Dialog der nachfolgenden Szene während das Bild noch verharrt.
 (Beispiel Balkon/Morning).

 

 

 

paper world-klEs gibt additive Bildelemente; Dinge werden dazugestellt, die nicht in die Umgebung zu passen scheinen und doch gehören sie dazu . (Beispiel Paper world).

 

 

 

 

where_to_go_now1-klNicht nur Orte werden überblendet, sondern auch Erzählzeiten. Sehen die Frauen nicht aus, als ob sie – mit Strohhut und Kleid – den Goldenen Zwanziger Jahre entspringen? 

 

Gesichter 5-klThe Element of Water2-kl

  

 

 

put away-klDas Absurde findet breiten Raum als Interpretation eines Gefühls- oder Seelenzustandes – womit wir wieder beim Theater wären ... Da werden Teile von Dingen und Figuren vertauscht, so dass absurde Zwitterwesen entstehen (Put away).

 

 

 

 

 

Häuser, Menschen und Gegenstände befinden sich in einer verkehrten Umwelt.(Häuser)

the house I-kllaughter-kl   the house II-kl

 Die Farbigkeit – oftmals bewusst übersteigert- dient nur bedingt einem Zweck, z.B. eine vielleicht romantische Stimmung zu erzeugen. Oft widerspricht sie dem Dargestellten sogar und raubt einem schon vermuteten „Thema“ die Wirkung.

Alles ist nicht so, wie es scheint – und genau das nennt man Magie.

Der Philosoph Hegel vertrat die Ansicht, Kunst lade zur denkenden Betrachtung ein.

Dem schließe ich mich an.

 Vielen Dank

Bernd Fischer